Die unerträgliche Schwere des Nichtseins

[intro]Im einem älteren Blog-Beitrag schrieb ich darüber, wie man auf Ideen kommt. Im Wesentlichen ging es dabei um das „Sein“ als Daseinszustand und als Treibhaus des kreativen Geistes. Doch was, wenn genau das Gegenteil der Fall ist? Wenn nicht das Innere dich antreibt, sondern das Außen dich peitscht?[/intro]

(Update vor dem eigentlichen Beitrag: Wegen der Dinge um die es in diesem Beitrag geht, habe ich versäumt ihn zu publizieren. Alle relativen Zeitangaben beziehen sich auf den 9. April 2017.)

Meine vergangenen drei Wochen im Überblick: Es war ein Donnerstag. Ich hatte „gut zu tun“. So nenne ich das, „gut zu tun“, wenn die Auftragslisten in einem passenden Maß gefüllt sind. Sowohl im Job, in den Side-Hustles als auch im Privaten. Und dennoch genug Puffer da ist für das Sein und unvorhergesehene Ereignisse. Ich nehme an, das ist, was man eine gute „Work/Life-Balance“ nennt. Ich mag eigentlich eher den Ausdruck „Life-Balance“. Jedenfalls ist das genau meine Komfortzone. Ich mag meine Komfortzone.

Dann bekam ich einen Anruf. Ob noch Ressourcen frei wären für das Coden einer komplexeren Landingpage mit einigem Tralala und knackiger Deadline. Für einen großen Automobilkonzern. Und obwohl ich bereits „gut zu tun“ hatte, reizten mich die eigentliche Aufgabe, der Kunde und das Budget. Kurz nachrechnet, käme ich mit den Reserven an Arbeitszeit plus zwei bis drei Spätschichten gut zu Recht. Und das unerwartete Budget würde einfach so den Kosten aller Urlaube der Familie in diesem Jahr entsprechen. Natürlich schlug ich ein. Der Job leider auch. Denn:

Dann wurde ich krank. Nicht am Folgetag des Deals, an dem ich noch die Notbremse hätte ziehen und den Auftrag zurückgeben können. Sondern nach gut einer Woche. Als ich schon mittendrin steckte. Und auch nicht so krank, dass ich hätte sagen müssen: „Tut mir leid. Geht nicht mehr. Pech gehabt.“ Sondern gerade so krank, dass klar war: Mit Hauruck und Pharmaindustrie und der konsequenten Rückendeckung von zu Hause würde es schon klappen. Also weitermachen. Also haute ich rein. Das Leben leider auch. Und zwar mitten in die Fresse. Denn:

Dann wurde meine Liebste krank. Ziemlich mehr als ich und ohne Kompromisse. In einer Eskalation, in der auch die Pharmaindustrie nur noch Schäden begrenzen aber nicht mehr beheben kann.

Und alles was noch da war an Reserven und Puffer füllte sich mit erwähnter Arbeit, Deadlines und Tickets im Bugfixing. Mit Kinder von A nach B fahren, Besorgungen erledigen, Krankenversorgung und wenigstens zum Abendbrot treffen, damit überhaupt noch irgendwas bleibt, dass man „Familie“ nennen kann.

Farewell Kreativität, hello Arschlochzeit

Das ist der Punkt, an dem jegliche Kreativität stirbt. An dem auch der professionellste aller Profis nicht unbedingt kapitulieren, aber doch in Rückzugsgefechte gehen muss. Um zu retten, was noch zu retten ist. Hier ein paar praxiserprobte Tipps, wie man durch so eine Phase geht, ohne vor die Hunde zu gehen oder einem Mikro-Burnout zu erliegen:

  • Pausen machen. Ganz egal wie krass das Pensum ist. Am Besten sogar Mikrourlaube. Ohne Pausen wirst du immer langsamer und am Ende schaffst du definitiv weniger, als mit Pausen. Die Firma Ford hat in der Blütezeit der Industralisierung, als alle sich kaputt malochen wollten, gegen den Trend den 8 Stunden-Tag eingeführt. Denn übermüdete Mitarbeiter am Fließband, die Fehler machen legen ganze Maschinenparks lahm. Das bringt dann am Ende auch nichts.
  • Reize ausschalten. Definitiv hilft es nicht, nach einer Spätschicht zum Runterkommen noch einmal kurz eine Staffel auf Netflixamazonsky wegzubingen, die YouTube-Abos durchzurattern oder Holzstamm-Weitwurf auf DMAX zu schauen. Ja ja: Schnell ist das Schlagwort von der „Zerstreuung“ gesagt. Aber dein Hirn lief sowieso schon den ganzen Tag auf Afterburner beim Flug durch die Canyons. Gönn ihm also mal einen kleinen Segelflug. So:
  • Zerstreuung. Ach. Da ist sie ja doch. Aber sie sollte kontrollierbar sein und irgendwie aktiv. Wenn dein Streaming auf dich einhämmert, hat dein Hirn keine Chance. Es kann nicht weghören oder die Augen ausschalten. Und einmal den Arsch auf dem Sofa, kommt der sowieso nicht mehr Hoch. Mach was anderes, das andere Hirnregionen anfeuert und Dopamine oder Oxytocin ausschüttet. Geh zum Fußball oder triff dich noch auf ein schnelles Mineralwasser mit einem Kumpel. (Nein, kein Alkohol. Bist du irre?)
  • Ernährung. Iss‘ keinen Blödsinn. Punkt. Dicker Punkt. Keinen Zucker. Wenig Kohlenhydrate. Nicht zu fettig. Das raubt dir mehr Energie, als es dir gibt. Und, nein, du musst dir nichts „gönnen“. „Fresskomma“ ist kein Ziel, sondern ein fetter Stein auf dem Weg zu eben jenem. Du willst ja schließlich, dass dieser Zustand schnell vorbeigeht. Also bewahr dir deine Power. Währenddessen: Low-Carb, Paleo, Proteinreich. So in die Richtung. (Von vegan habe ich keine Ahnung. Geht aber bestimmt auch.) Danach kannste dann abfeiern. Mit Bier, Frozen Joghurt und Salami-Pizza. Guten Appetit. Koma haste dir verdient – wenn es dir Spaß macht.
  • Bewegung. Am Besten natürlich mit Sport. Rennen, Schwimmen, Fighten. Für meinen Teil war das wegen der angeschlagenen Gesundheit nicht denkbar. Aber dann eben ein langer Spaziergang in der Abendstunde. Habe ich gemacht. Mir einen Kaffee bei Starbucks geholt und der Fußgängerzone beim Feierabend machen zugesehen. Danach dann weiter. Du schaffst das.
  • Schlafen. Das ist das Wichtigste. Überhaupt. Ohne Schlaf gehst du vor die Hunde. Andersherum: Schlafentzug ist tatsächlich eine der effektivsten Foltermethoden. Und nach dem Wasser- und Nahrungsentzug- ist das Vermeiden von Schlaf definitiv der größte Killer. Wenn du also schon alle Energie im Job lassen musst, hol sie dir dort zurück, wo dein inneres Akku-Ladegerät am besten funktioniert: Im Bett. Augen zu. Und durch!

Das sind nur ein paar Anregungen. Und wer seine Kreativität, ach seinen Geist, gerne oft und regelmäßig auf Leistungsbereitschaft halten möchte, beherzigt das im Wesentlichen auch im restlichen Leben. Ich für meinen Teil versuche so weit wie möglich auf Zucker zu verzichten, regelmäßige Pausen zu machen und in Bewegung zu bleiben. Und in Phasen wie in den vergangenen Wochen eben das Programm möglichst souverän durchzuziehen. Da werde ich dann zum Produktivitäts-Ultra.

„It’s better to burn ou…“ Fresse!

Vielleicht ist es wirklich besser, auszubrennen als langsam zu verblassen. Aber am allerbesten ist es, den Kessel mit einer steten Flamme schon auf Dampf zu halten. Man muss nur eben wissen, wie man den Druck ablässt, wenn die Maschine auf Vollepulle rattert.

Danke fürs zuhören.

Ach ja: Mittlerweile sind alle wieder gesund. Puh.

Was sind deine Erfahrungen und Tricks?

Photo by Keith Johnston on Unsplash

 

 

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