von markus.freise
Von Anfängern lernen. Homeruns in der Wissensgesellschaft.
Manchmal sind die besten Lehrer die Schüler selbst. Wie man als Mentor zurücktritt, um in unserer Wissensgesellschaft gerade von den Rookies und Grunschnäbeln zu lernen, so derbe hinter den Ball zu schlagen, dass er aus dem Stadion in für uns neue Galaxien vordringt.
Vor einigen Wochen, beim ersten Kaffee, habe ich, wie ich das dann oft tue, YouTube geöffnet. Um zu sehen, was der Algorithmus glaubt, was ich mir ansehen sollte. So richtig was Neues war nicht dabei. Damals noch immer kein Star Wars-Trailer (mittlerweile gleich zwei, juhu), keine neue Episode der Nerdist-News. Geschweige denn mal wieder ein Video von Casey.
Mein offenes Auge und luzides Interesse fiel dann auf ein Video des Content Creators Tyler „Bobby“ Babin. Ein junger Mann – ich will „Junge“ sagen – der kürzlich aus dem Dunstkreis eines Gary Vaynerchuck und D-Rock herausgetreten ist. Seit Anfang des Jahres macht er ein Studienjahr für Adobe. Dutzende Videos hat er mittlerweile online. YouTube meinte, ich sollte mir dies hier ansehen. Ein Video darüber, wie man Fotos so bearbeitet, wie Tyler Babin das tut.
Nun muss man eben wissen, dass Tyler halb so alt ist wie ich und was das Bearbeiten von Fotos angeht, ob mit Photoshop oder Lightroom, ich jetzt doch auch über Jahrzehnte Erfahrung verfüge. Was also erwartete ich nach dem Klick auf das Thumbnail? Warum kitzelte mich das Video dennoch?
Wie man Fotos wie Tyler entwickelt. Oder sich selbst.
Die Antwort drang mir Tage später ins Bewusstsein. Ich saß bei uns in der Agentur mit unserem Werkstudenten da und wir brüteten über einen möglichen Fehler in einer Website-Programmierung. Ich fand den Bug schnell, und sagte ihm, was zu tun sei. An seinem Rechner, in seinem Arbeitsökosystem. So tat er meiner Aufforderung folgend, einige Dinge. (Ich will die nicht erläutern. Happy People Center ist ja kein Blog für Webentwicklung, sondern ein Blog für Persönlichkeitsentwicklung. Zwinker-Smiley.) Jedenfalls nutzte er dafür Tools, die ich nicht kannte. Und ging mit diesen Wege, die mir neu waren. Die soviel logischer erschienen, als die eingetretenen Pfade, die ich kannte. Letztlich kam er zu dem von mir gewünschten Ergebnissen.
Metaphorisch gesagt, hatte ich das Ziel definiert, als ich den Fehler, auch dank meiner deutlich größeren Erfahrung schnell ausmachte. Er hatte dann einen Weg dorthin gefunden, der mir neu war. Einfach deshalb, weil er die alten Pfade gar nicht kannte. So hatte er ganz andere entdeckt. Neue. Kürzere. Spannendere. Verrückt: Eigentlich war Plan, dass ich ihm etwas beibringe. Doch ohne das zu wollen, hatten wir an diesem Morgen beide etwas gelernt.
Vom Zen-Buddhismus zu Maltes Macbook Pro
Der Volksmund sagt „Man lernt nie“ aus. Er sagt, dass vor allem dann, wenn wir unerwartet etwas gezeigt bekommen, dass wir noch nicht kannten. Gelegentlich in einem abwiegelnden Ton, mit vorangestelltem „Tja.“ Als wäre das eine Bürde, die man tragen muss. Nie wirklich fertig zu sein. Zu lernen. Schon in der Schule redet man sich ein, dass Schule doof ist. Und Lehrjahre sind auch keine Herrenjahre. Wie traurig.
Und dann gibt es da diese magische Generationen-Grenze. An der sich die Erwachsenen nahezu darüber lustig machen, wie sich die Jüngeren unbekümmert den – scheinbar so komplex gewordenen – Gegebenheiten der dann ihnen so frisch vorliegenden Welt begegnen. Dabei braucht es nur eine einzige Eigenschaft um dies mit Freude statt Bürde zu tun: die Neugier.
Auseinandergenommen in zwei Silben ist es die „Gier nach Neuem“. Es ist das, was einem Kind und jungem Menschen noch innewohnt. Die Welt, in der man sich bewegt, zu begreifen. Ohne diese rückblickend zu bewerten. Eben weil es noch nichts gibt, auf das zurückzublicken wäre.
Wenn das dann geschafft ist, das Begreifen, schüttet das System so ziemlich alles in Glückshormonen über sich aus, das es gibt. Wer einmal ein kleines Kind beobachtet hat, das es nach unzähligen Versuchen endlich hinbekommt, die Hasen-Rassel, ohne dass diese ihr erneute ins putzige Gesicht geplumpst ist, von der einen in die andere Hand zu bugsieren, weiß, was gemeint ist.
Man lernt nie … mach den Fernseher bitte nicht aus!
Irgendwann, meist in unseren 30ern, geraten wir in einen Zeitraum, in dem die Welt für einen längerem Moment so scheint, als würde sie für immer genau so bleiben. – „Puh. Geschafft!“ sagt die Seele – In dieser uns dann bekannten Welt richten wir uns ein. Gemütlich und kuschelig. Entdecken eine Ruhe, die wir erst „Frieden“ und dann „Komfortzone“ nennen. So soll das dann bleiben. Wenn dann irgendein Kind mit TikTokSnapChat um die Ecke kommt, lächeln wir kurz. Sagen, wir haben doch „arte“ und „20 Uhr Nachrichten“ und schließen die Tür.
Was sich dort als Altersweisheit tarnt ist in Wahrheit eine Altersignoranz gegenüber der Welt, wie sie zu diesem Zeitpunkt ist. Mit alle ihren Herausforderungen. Aber auch Möglichkeiten. Es ist das seit Generationen Echo werfende „Wir haben das schon immer so gemacht.“ Obwohl das nicht stimmt. Denn wir haben das vor 30 Jahren auch anders als unsere Eltern gemacht. Die damals gesagt haben „Wir haben das schon immer so gemacht … emacht … macht … acht … cht … ht … t.“
Ich erinnere mich zum Beispiel noch ganz genau, wie dieser Typ mir vor 25 Jahren sagte: „Dieses Internetz, das wird sich nicht durchsetzen.“ True Story. Genau so. In der Tennis-Kneipe „Johannesklause“ meiner Eltern in Rietberg. Die waren da alle so 45 Jahre alt rum. Ob der wohl immer noch da sitzt, Wacholder trinkt und Gelbe Seiten liest? (Tut er nicht, mittlerweile ist die abgebrannt. Things change, Baby!) Aber zeig dem mal Wikipedia. Dem gehen doch alle Synapsen durch. Und dann erklär mal andersherum einem heute 25-jährigen, was ein Brockhaus ist. Der dreht dann genau so durch.
Das wir uns hier genau so benehmen, wie unsere Eltern das getan haben, liegt unter anderem daran, dass Lernen zwei Dinge benötigt:
Bleib gierig. Take your time.
Die eben erwähnte Neugier. Die Gier nach Neuem ist die treibende Kraft jeden Fortschritts. Es ist etwas zutiefst menschliches. Jeder hat die. Man muss die nur zulassen. Hinhören und hinschauen, was einen anmacht. Was sich einem aufdrängt, erfahren zu werden. Immer und immer wieder.
Und dann ist da, ach ja, die liebe Zeit. Zeit, sich mit dem, was man da neues „ergiert“ hat, zu beschäftigen. Die Rassel ganz genau zu analysieren. Die Hände zu verstehen. Zusammenhänge begreifen. Und sich dann trauen, das Ding Hundertemal fallen zu lassen. Für das große Ziel, dieses erste mal, dass sie wandert. Von einem Händchen ins andere. Das braucht Zeit, die wir vermeintlich nicht mehr haben.
Um das abzukürzen: Alle sagen, sie haben keine. Doch meist ist das gelogen. Zeit haben wir alle reichlich. Wir verbringen sie nur mit anderen Dingen als Lernen. Einmal mehr geht es um essentielle Prioritäten. „Prioritäten“ und „Essentialismus“ sind jedoch Themen für eigene Blog-Artikel. Stellen wir uns nur kurz vor, wir ließen den Fernseher aus. Oder lassen FacebookTokGram FacebookTokGram sein. Etablieren für uns so etwas wie Lasses 5-Stunden-Arbeitstag. Oder eine 4-Tage-Arbeitswoche. Und nutzten diese Zeit. Das sind mehr als 8 Stunden pro Woche Raum in dem Neues passieren darf.
Was braucht es dann noch, um zu lernen? Das, was im Zen-Buddhismus „Beginner’s Mind“ heißt.
Der Homerun in der Wissensgesellschaft
Das „Beginner’s Mind“ lässt sich mit „Geist des Anfängers“ gut übersetzen. Es geht dabei um eine Betrachtung der Welt und wie wir dieser begegnen. Zu jedem Zeitpunkt wollen wir bei unseren Begegnungen die Sachverhalte und Aufgaben, die uns der Partner, die Chefin oder das Universum vor die Füße werfen betrachten, als wären wir das kleine Kind mit der Rassel. Alles ist frisch und neu und nie da gewesen. Wie würden wir es dann angehen, verstehen wollen? Was ist heute anders? Welche Methoden? Welches universelle Wissen haben wir heute zur Verfügung, dass noch nicht da war, als wir uns diesem Ding, Thema, dieser Aufgabe vor Jahrzehnten stellen mussten?
Wie würdest du es angehen, wenn du es noch nie getan hättest?
Gary Vaynerchuck, der erwähnte Mentor von Tyler Babin, hat dazu einmal etwas sehr Richtiges gesagt. Man fragte ihn, ob er mit Mitte 40 keine Angst habe, dass ihm diese ganze jungen Menschen in seiner New Yorker Agentur nicht den Schneid abkaufen würden, mit ihrer unbändigen Jugend. Seine Antwort war:
„Nein. Ganz sicher schwingen sie den Baseballschläger härter und schneller, als ich das noch kann. Aber ich schlage viel präzsier als sie.“
Gary Vaynerchuck
Also warum das nicht kombinieren? Die Weisheit des Buddhismus mit der Erfahrung eines Gary? Wenn wir diese frische Herangehensweise kombinieren mit den Erfahrungen unseres Lebens, findet ein anderes Lernen statt. Wenn wir bereit sind, neue Wege zu finden, die wir uns dann mit Werkzeugen bahnen, deren Beherrschung nahezu intuitiv von der Hand geht, gelangen wir an dieselben Ziele wie zu vor. Jedoch vielleicht schneller und unkomplizierter. Dann schlagen wir den Ball nicht nur präziser als die anderen, sondern auch härter. Aber nicht auf die „Second Base“, sondern raus aus dem Stadion. Homerun!
Fazit
Bleib neugierig. Lächele nicht über die Welt vor deinen Händen, nur weil sie ab einem gewissen Punkt zu komplex erschien. Mache die jungen Menschen und ihr Verhalten zu deinem Nordstern, nach dem du segelst. Deine inneren Karten werden dich sicher um die Eisberge und Untiefen herumsegeln lassen. Angetrieben vom frischen Wind der Jugend. Gemeinsam erreicht ihr dann neue Welten. Oder um es mit dem großen Philosophen Calvin und seinem Freund Hobbes zu sagen:
… Let’s go exploring.
Lasst uns die Welt erforschen. Jeden Tag aufs neue.
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